Darf ein PR-Berater oder ein Kommunikationsleiter in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werden als der Unternehmenschef, ein Vorstand oder ein Aufsichtsrat?

Eine Veranstaltung hat mich zu dieser Frage bewogen. Ich war zu Gast bei einem kleinen Empfang, bei dem der Aufsichtsratsvorsitzende der Otto Group, Dr. Michael Otto, eine Ansprache hielt. Für mich war klar, wer Michael Otto ist und wie er aussieht. Das Problem war: Der Redner sah nicht so aus, wie ich es erwartet hatte.

Aber woher kam mein Bild von Michael Otto? Die Antwort war relativ schnell gefunden, als ich am nächsten Tag die aktuelle „absatzwirtschaft“ durchblätterte. Denn dort war „mein“ Gesicht von Michael Otto. Er heißt jedoch Thomas Voigt. Und er ist nicht der Aufsichtsratsvorsitzende, sondern „nur“ der Direktor Wirtschaftspolitik und Kommunikation der Otto Group.

Verhältnis von Chef und Kommunikator

Der Kollege Voigt ist in meiner Branche aufgrund seiner Position und seines Engagements in PR- und Marketing-Verbänden sehr präsent. Trotzdem hätte ich von mir erwartet zu wissen, wer Chef eines großen Konzerns in Deutschland ist.

Meine Wahrnehmung von Michael Otto wird in diesem Fall jedoch von der Überschneidung von zwei unterschiedlichen Themenfeldern beeinträchtigt. Zum einen als Interessent an Wirtschaftsfragen, zum anderen als professioneller PR-Berater. Jeweils ist einer der Vertreter der Otto Group ein führender Kopf.

Ich weiß natürlich nicht, welche Absprachen zwischen Michael Otto und dem Direktor der Kommunikation Thomas Voigt getroffen wurden, jedoch kann diese Rollenverteilung zu Irritationen führen, wenn beide eine bestimmte Zielgruppe ansprechen sollen beziehungsweise wollen.

Diese Absprache spielt auch dann eine Rolle, wenn ein Unternehmenschef beziehungsweise ein Aufsichtsrat nicht öffentlichkeitsaffin ist. Dann kann dieses Vakuum durch den Kommunikator gefüllt werden. Denn Gesichter sind ein wichtiger Faktor in der PR.

Jedoch muss sich derUnternehmenslenker darüber im Klaren sein, dass er dadurch einen Teil seiner Wirkmacht auf Märkte und Mitarbeiter abgibt: „Wer ist denn der Chef des Hauses?“

Interessant ist für mich auch zu sehen, dass mir der Vorstandsvorsitzende der Otto Group, Hans-Otto Schrader, gänzlich unbekannt war. Er hat quasi an zwei Fronten seiner Wahrnehmung zu kämpfen: Der Strahlkraft Dr. Michael Ottos und der Branchengröße Thomas Voigts.

Welche Konsequenzen hat das für mich und meine Arbeit?

Meine Aufgabe als PR-Berater ist es, meine Auftraggeber in die Öffentlichkeit zu bringen. Dabei ihre Wahrnehmung zu steigern und ein gewünschtes Image zu transportieren. Das ist kein Geheimnis. Dabei ist das Verhältnis natürlich noch etwas anders als das Verhältnis eines Direktors Kommunikation zu einem Vorstand.

Von Vorteil ist es natürlich, wenn auch der PR-Berater eine gewisse öffentliche Wahrnehmung hat, um für den Kunden Türen zu öffnen. Diese darf sich nicht auf die Geschäftsfelder der Kunden erstrecken. Hier ist Zurückhaltung gefragt. Denn eine Art Konkurrenz zu schaffen, ist kontraproduktiv für die Dienstleistung. Die Positionierung wird unter Umständen zu sehr verwässert. Bei den Zielgruppen wird unklar, wer eigentlich für welches Thema steht. Spricht der PR-Berater für den Kunden oder für sich selbst?

Für mich bedeutet das genau zu prüfen, welche Zielgruppe mit welchen Botschaften meine Kunden ansprechen wollen. In diesen Themenfeldern darf ich als Berater keine eigene öffentliche Positionierung haben.

Dort ist der Kunde nicht König, sondern Kaiser!

[divider]Aktuelle Informationen über den Autor Nicolas Scheidtweiler erhalten Sie auf seinem Google+-Profil. Er studierte in München und Hagen und arbeitet seitdem in verschiedenen Funktionen und Bereichen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Verknüpfung von praktischen Erfahrungen mit einem Theorie-Fundament. Nicolas Scheidtweiler hat einen Lehrauftrag für Medientheorie an der Hochschule Bremerhaven.