Seit geraumer Zeit folgen wir einem jungen Journalisten bei Twitter. Tim Röhn ist uns aufgefallen, weil er zum einen für Redaktionen auch großer Tageszeitungen arbeitet, aber auf der anderen Seite seine Artikel, Beiträge und Meinungen auch in den Social Media weiter nutzt.

Vor dem Hintergrund der Zimpel-Studie zum Journalismus in Zeiten der Social Media finden wir diese Herangehensweise interessant. Wir freuen uns, dass Tim Röhn für ein Interview zur Verfügung stand. In dem Gespräch betont er, dass trotz der Schnelligkeit der Neuen Medien eine fundierte Recherche weiterhin Bestand haben muss.

Tim Röhn - Journalist und Social Media - Scheidtweiler PRHerr Röhn, welche Ziele verfolgen Sie mit der Kommunikation über die Social Media-Kanäle?

Ich betreibe diese Art der Kommunikation aus verschiedenen Gründen. Vor allem Twitter nutze ich, um neue Themen, Thesen und Denkanstöße für meine tägliche Arbeit zu finden und zu entwickeln. Dies geschieht auf verschiedenen Wegen. Zum einen finde ich immer wieder spannende Tweets in meiner Timeline, zum anderen stoße ich auf Interessantes, wenn ich ein Schlagwort zu einem Thema suche, mit dem ich mich gerade beschäftige. Außerdem wird heute so gut wie jede News zuerst getwittert. Wenn ich also auf eine neue Entwicklung in einem Fall warte, weiß ich, wo ich als erstes fündig werde. Da kann auch das schnellste Online-Nachrichten-Portal nicht mithalten. Viele Journalisten unterschätzen das Potenzial von Twitter.

Und wie nutzen Sie Twitter für Ihre Arbeit konkret?

Darüber hinaus nutze ich Twitter, um Texte von mir zu verbreiten – natürlich auch, um deren Reichweite zu erhöhen, aber vor allem in der Hoffnung, ein Feedback zu bekommen. In 140 Zeichen kann man nicht um den heißen Brei herumreden, da wird gesagt, was Sache ist – ob gut oder schlecht. Ich denke, jede Anregung von außen sollte man als Journalist dankbar annehmen und sich zunutze machen.

Sie fordern Ihre Follower und Fans auch auf, Ihnen Infos zukommen zu lassen. Warum?

Informationen sind mein Kapital. Jede spannende Info, die ich – bestenfalls exklusiv – habe, kann ich in einen Artikel ummünzen oder zumindest mit Recherche beginnen. Durch Twitter ist meine Arbeit sehr transparent geworden, jeder kann sehen, mit welchen Themen ich mich befasse, wie ich sie aufbereite und wo sie erscheinen. Glücklicherweise fühlen sich immer wieder Leute berufen, mit mir in Kontakt zu treten und mir spannende Geschichten zu erzählen.

Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Für die WELT-Gruppe beschäftige ich mich zum Beispiel vermehrt mit Gerichtsprozessen und Ermittlungsverfahren. Nachdem ich einige Texte über derlei Themen getwittert hatte, hat mir vor einigen Tagen ein älterer Mann geschrieben, der von der Justiz augenscheinlich – gelinde gesagt – veräppelt wird. Ihn werde ich treffen und hoffen, dass die Story wirklich so gut ist. Es gibt zum Glück einige Beispiele dieser Art. Manchmal muss ich den Leuten aber auch sagen: Sorry, aber das ist keine Geschichte für die Zeitung.

Wie bewerten Ihre Auftraggeber diesen Weg der zusätzlichen Kommunikation?

Ich habe bis jetzt nichts Negatives gehört, obwohl die meisten Kollegen zurückhaltender sind. Derzeit arbeite ich vor allem für die WELT-Gruppe, die bekanntlich zum Axel-Springer-Verlag gehört. Und Springer ist in Sachen Digitalisierung, Social Media und Crossmedialität in Deutschland sehr weit vorne dabei. Von daher würde es mich überraschen, wenn mir da jemand sagen würde: Du, dieser Mist da mit deinem Twitter und so – lass das!

Insgesamt gefragt: Welche Rolle spielen Social Media für die Zukunft des Journalismus?

Eine gewaltige, definitiv. Durch Twitter, Facebook und Co. dreht sich die Welt gefühlt immer schneller, und das stellt sowohl eine große Herausforderung als auch eine große Chance für Journalisten dar. Auf der einen Seite kann man sich die durch Social Media verursachte gigantische Informationswelle zunutze machen, auf der anderen darf man nie vergessen, jede noch so gute getwitterte Info erst einmal auf Richtigkeit zu überprüfen. Wie oft wurde in den vergangenen Monaten etwa der Tod von Fidel Castro auf Twitter verkündet? Und wie oft haben Medien weltweit diese Info einfach mal aufgeschrieben? Das darf nicht passieren, egal wie groß der Zeitdruck in den Redaktionen ist.

Herr Röhn, vielen Dank für das Gespräch.

Weitere Informationen zum Journalisten Tim Röhn finden Sie unter www.timröhn.de.

Über den Interviewer Nicolas Scheidtweiler

Der Interviewer Nicolas Scheidtweiler hat einen Lehrauftrag an der Hochschule Bremerhaven zu Kommunikation, Medientheorie und PR-Strategie. Sein Steckenpferd ist die Rolle von Journalisten und Redakteuren innerhalb des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Daneben beobachtet er die Veränderungen in der journalistischen Arbeit, die sich aus den Neuen Medien (Facebook, Twitter, Google+ und Co.) ergeben.

Nicolas Scheidtweiler ist Inhaber von Scheidtweiler PR, PR-Agentur aus Bremen. Sie hat ein Fokus darauf, neue Kanäle wie Social Media (Facebook, Twitter, Google+, Pinterest und Co.) und Mobile Marketing mit der klassischen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit strategisch zu verknüpfen.

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