Interessant, wie sich in der Unternehmenskommunikation wiederholt Trends herauskristallisieren. Aktuell sehe ich in vielen Blogs und Publikumsmedien zunehmend das Neuromarketing als Thema. Ein Grund für mich als PR-Schaffender sich tiefer mit dem Thema im Kontext der eigenen Arbeit zu beschäftigen. Unter dem Titel „Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf.“ bietet der Haufe Verlag einen Sammelband an.
Auf 263 Seiten geht der Herausgeber Hans-Georg Häusel in sechs Teilen auf unterschiedliche Gesichtspunkte des Neuromarketings ein. Den Einstieg (Teil 1) macht die Wissenschaft, fortgesetzt durch praxisnahe Beiträge und Anregungen für die tägliche Arbeit (Teil 2 und 3). Den Abschluss (Teil 4 bis 6) bilden Experten-Interviews, ein Blick hinter die Kulissen der Forschung und eine Einblick in den Aufbau des Gehirns.
Neuromarketing = Emotionen stehen im Zentrum
Der Mittelteil ist für den PR-Praktiker der interessanteste. Die Aufsätze der Autoren geben sehr gute Einblicke in die Herangehensweise und Arbeit der Spezialisten. Zudem werden verschiedene Instrumente der Kommunikation in Zusammenhang mit dem Neuromarketing beleuchtet, unter anderem die Markenkommunikation, das Storytelling und das multisensorische Branding. Wenig überraschend ist, dass es in der Kommunikation um Emotionen geht. Neuromarketing bestätigt damit das, was in PR und im Marketing immer vorhanden ist: Die Berücksichtigung der persönlichen Einstellungen und Eigenschaften einer Zielgruppe.
Denn eine Marke spricht bestimmte Motive an. Neuromarketing erlaubt es, diese Motive einer Zielgruppe genau zu bestimmen. Das Ziel ist die Kongruenz zwischen Marke und Zielgruppe zu erreichen und besonders effizient zu kommunizieren. Ein schönes Beispiel dafür bietet der Vergleich von Becks und Krombacher (Seite 67 – 71). Die beiden Biermarken sprechen unterschiedliche Hirnareale an und richten sich damit an unterschiedliche Zielgruppen. Offensichtlich wird das an der Bildsprache in der Werbung. Neuromarketing hilft bei der Markenkommunikation, den Effekt der Werbung konkret zu messen.
Anknüpfen an Strukturen
Die Frage lautet immer: Führen bestimmte emotional-kognitive Eigenschaften (die Motive) oder die Sozialisation zu einem bestimmten Verhalten und bestimmten emotionalen Einstellungen? Die Antwort ist interessant, aber für die tägliche Arbeit hinfällig. Vielmehr muss ein Kommunikator den Bedürfnissen einer Zielgruppe Rechnung tragen. Aus meiner Profession bringe ich den Begriff der Hermeneutik ins Spiel. Nach meiner Definition besitzt jeder Mensch einen bestimmten kulturellen Hintergrund. Vor diesem Hintergrund versteht er Sachverhalte unter Umständen gar nicht oder eben sehr gut. Gute Kommunikation richtet sich an diesem Horizont aus und begibt sich auf Augenhöhe des Kunden. Da kommt das schon bekannte Sorytelling ins Spiel.
Dass das Storytelling einen eigenen Aufsatz im Kontext des Neuromarketing beinhaltet ist mehr als gerechtfertigt. Der Aufsatz vertieft das, was PR-Schaffende schon lange in ihrer Arbeit nutzen: Für sich stehende Fakten werden schlechter als in Strukturen eingebundene Inhalte verarbeitet. Die Herausforderung besteht dabei, die richtige Geschichte passend zu erzählen. Denn nicht jede Geschichte passt zu jeder Zielgruppe. Ob das Neuromarketing hier bessere Erkenntnisse liefert, beantwortet der Autor Werner T. Fuchs in seinem Beitrag nicht.
Zur Vertiefung dieser Thematik empfehle ich die Rezension Anregung zum Storytelling.
Kommunikation über mehrere Sinne
Zur Verstärkung der Emotionen und der Anknüpfung an erlernte Strukturen gibt der Sammelband einen Ausblick in das multisensorische Branding. Dahinter verbirgt sich wenig überraschend die Ansprache unterschiedlicher Sinne, um eine Einstellungsänderung bei einer bestimmten Zielgruppe zu erreichen, dem sogenannten Multisensory Enhancement. Der Autor Martin Lindstrom fordert in seinem Beitrag die Berücksichtigung der fünf Sinne.
Für einen reinen PR-Schaffenden kommen hier Bereiche ins Spiel, auf die er keinen Einfluss hat. Texte, Töne, Licht und Farben kann er einsetzen. Darüberhinaus geht es um Beschaffenheit der Verpackung, Aromen und konkrete Produkteigenschaften (wie das Knacken bei Kellog’s Cornflakes). Hier kann die PR nur unterstützen, muss das Feld aber nahezu komplett der Produktentwickler überlassen. Die Ergebnisse des Neuromarketings aus diesem Prozess der Produktentwicklung müssen dann jedoch Bestandteil der Kommunikationsstrategie werden.
Ein gutes Beispiel wie Multisensory Enhancement im Einzelhandel funktioniert, zeigt dieses Video über die Verknüpfung von Musik mit bestimmten Jeanstypen – bei passender Musik war die Kaufquote höher:
Neuromarketing: Logische Kommunikation
„Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf.“ begründet vor allem die vorhandenen Instrumente der Kommunikation. Er unterstützt die professionelle Herangehensweise der PR und des Marketing, wie bestimmte Inhalte verpackt werden müssen, um ihre Wirkung bei Zielgruppen zu entfalten. Neue Erkenntnisse über Methoden oder Wege der Kommunikation bietet es darüber hinaus nicht.
Der Sammelband stellt daneben zwar Ansätze für das konkrete Neuromarketing in der Praxis vor und zeigt auf, wie Erkenntnisse über die Zielgruppen genauer ermittelt werden können. Jedoch bedarf es, wie in einzelnen Artikeln beschrieben, größerer Ressourcen. Daher ist die direkte Umsetzung insbesondere für große Marken interessant. Kleinere Unternehmen erhalten Anregungen für eine Überprüfung der eigenen Kommunikation.
Es gibt drei Scheidtweiler PR-Sterne:
Über den Herausgeber Hans-Georg Häusel:
Herausgeber Dr. Hans-Georg Häusel zählt international zu den Experten in der Marketing-, Verkaufs- und Management-Hirnforschung. Er ist Dozent an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich. Das von ihm entwickelte Limbic-Modell gilt heute als Instrument zur Erkennung bewusster und unbewusster Lebens- und Kaufmotive sowie zu einer neuropsychologisch fundierten Marken- und Unternehmensentwicklung. Mehr zu Hans-Georg-Häusel auf seiner Homepage unter www.haeusel.com.
„Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf.“ ist 2014 in der 3. Auflage beim Haufe Verlag erschienen, hat 263 Seiten und kostet gebunden 34,95 EUR.
Bildquelle: shop.haufe.de
Weitere Rezensionen:
Aktuelle Informationen über den Rezensenten Nicolas Scheidtweiler erhalten Sie auf seinem Google+-Profil. Er studierte in München und Hagen und arbeitet seit 2005 in verschiedenen Funktionen und Bereichen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Verknüpfung von praktischen Erfahrungen mit einem Theorie-Fundament. Nicolas Scheidtweiler hat einen Lehrauftrag für Medienplanung und PR-Konzeption an der Hochschule Bremerhaven.